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03 – 12

Social-Proof

Airbnb – würdest du ohne zumindest ein negatives Gefühl ein fremdes Haus buchen, von dem nur der Besitzer schwärmt, dessen Schwärmereien aber von keinem ehemaligen Gast bestätigt werden?

eBay – würdest du bei einem teuren Produkt zuschlagen, dessen Verkäufer noch keine einzige positive Bewertung hat?

Trip Advisor – hier wird sich ohnehin komplett auf Nutzererfahrungen verlassen und gestützt. Woher rührt der Erfolg dieser Plattform?

Amazon – kann man sich Shoppen beim beliebten Onlineriesen überhaupt noch ohne Reviews vorstellen? 55 Prozent aller Online-Käufer beginnen mit ihren Produktrecherchen wegen der umfangreichen Rezensionen auf Amazon. Und Amazon-Rezensionen werden sogar von Menschen gelesen, die im stationären Handel vor einem Produkt ihrer Wahl stehen (BloomReach 2016).

Wir sehen, wohin das führt: Rezensionen sind wichtig. Sehr wichtig. So wichtig, dass Amazon sogar ein Programm namens »Vine« hat, bei dem kostenlose Produkte, die nicht retourniert werden müssen, an Testkunden verschickt werden – nur, um Rezensionen dafür zu erhalten (Amazon 2019).

Warum? Weil wir Menschen Herdentiere sind, die sich auf andere verlassen. So sehr, dass sich 95 Prozent aller Nutzer von Onlineshops auf Rezensionen stützen, um sich eine Meinung über ein Produkt zu bilden (Scott 2017). Dieses psychologische Phänomen wird Social-Proof genannt – wir vertrauen darauf, dass die Masse richtig liegt. Ist die Masse der Meinung, dass ein Produkt gut ist, übernehmen wir diese Meinung für uns selbst. Sehen wir uns an, wie wir dies zu unserem Vorteil nutzen können.

Das Phänomen

Wie schon in der Einleitung erwähnt, sind wir Menschen Herdentiere. Es ist einfach deutlich wahrscheinlicher, dass wir etwas tun, wenn wir wissen, dass es andere schon vor uns getan haben – so beispielsweise der Kauf eines Produkts. Dieses Herdenverhalten ist vor allem dann zu beobachten, wenn wir uns in unserer Handlung unsicher sind.

Wie ebenso in der Einleitung beschrieben nutzen 95 Prozent aller Online-Käufer Rezensionen, um sich eine Meinung zu bilden. Erstaunlich dabei ist, wie hoch das Vertrauen dabei in andere Nutzer ist. So gaben in einer Studie 92 Prozent an, persönlich bekannten Menschen zu vertrauen. Deutlich erstaunlicher aber ist, dass 70 Prozent angaben, komplett fremden Menschen bei Rezensionen ihr Vertrauen zu schenken. Und selbst jene, die angaben, Rezensionen nicht zu vertrauen, werden zumindest unterbewusst stark davon beeinflusst (Beard 2012).

Wie – wortwörtlich – wertvoll Rezensionen sind, zeigt eine 2011 durchgeführte Studie: Bei maximal fünf Sternen auf Yelp.com hat eine Steigerung um einen Stern zu 5 bis 9 Prozent mehr Umsatz bei den entsprechend besser bewerteten Unternehmen (keine Onlineshops) geführt (Luca 2011). Noch gravierender fällt der Unterschied aus, wenn es darum geht, ob Rezensionen in einem Onlineshop überhaupt vorhanden sind. In einer Studie konnte eine Conversion-Steigerung von bis zu 161 Prozent verzeichnet werden, nachdem Rezensionen in Webshops eingeführt und angezeigt wurden (Bloom 2017).

In der Praxis

Denken wir an Kundenbewertungen online, kommt uns höchstwahrscheinlich die mittlerweile nahezu überall auffindbare Sterne-Bewertung in den Sinn. Das Phänomen des Social-Proofs ist aber deutlich breiter – und teilweise sogar effektiver – anwendbar.

So sind Zitate von glücklichen Kunden eine häufig genutzte und erwiesenermaßen wirkungsvolle Methode, die eigene Glaubwürdigkeit zu untermauern. Dabei sollte nicht auf ein qualitativ hochwertiges Foto der zitierten Person verzichtet werden, das die Glaubwürdigkeit zusätzlich steigert (Newman et al. 2012). Diese Methode empfiehlt sich vor allem für die Startseite und kann sich – entgegen einzelner Produktrezensionen – beispielsweise auf den gesamten, positiv verlaufenen Bestellprozess beziehen.

Doch auch ausführliche Geschichten darüber, wie Kunden unsere Produkte verwenden, sind Teil des Social-Proofs und können sehr positive Auswirkungen auf unsere Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und letztendlich auf die Verkaufszahlen haben. So könnten wir zufriedene Kunden bitten, uns Hochzeitsfotos zu senden, auf denen unsere Papeterie zu sehen ist und daraus einen Blogeintrag erstellen, der zeigt, wie vielfältig unsere Produkte eingesetzt werden können.

Am wenigsten Aufwand ist jene Anwendung von Social-Proof, bei der lediglich blanke Zahlen genannt werden, beispielsweise die Gesamtzahl der bisherigen Kunden, der Likes über alle sozialen Plattformen hinweg, die Anzahl der verkauften Produkte in den letzten 24 Stunden oder die Auflistung der Medien, in denen man erwähnt wurde.

Ob man es glauben mag oder nicht und ob man sie mag oder nicht: Tatsächlich wirkt Social-Proof auch, wenn Influencer für uns tätig werden. Bei der Zielgruppe oder der großen Allgemeinheit bekannte, beliebte und das Vertrauen genießende Persönlichkeiten, die sich positiv für uns und unsere Produkte aussprechen, übertragen genau jene, von der Zielgruppe wahrgenommenen positiven Eigenschaften damit auch auf uns – und das, obwohl faktisch kein Zusammenhang besteht. Dieser psychologische Effekt ist als Halo-Effekt bekannt (Thorndike 1920, S. 25-29).

Die Sterne im Blick

Schnell wird deutlich, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, Vertrauen zu gewinnen, indem wir das menschliche Herdenverhalten ansprechen. Doch die am weitesten verbreitete Implementierung dieses Phänomens ist die bekannte und beliebte Sterne-Bewertung, von der wir uns nun einen besonderen Aspekt ansehen werden.

Die Vermutung liegt eigentlich nahe, dass die einzelnen, individuell geschrieben Bewertungen das wertvollste Feature sind. Doch Usability-Tests haben gezeigt, dass es die Übersicht über die Verteilung der Sterne ist, die am meisten genutzt und auch geschätzt wird. Das zeigt, dass uns in erster Linie nicht die Qualität der einzelnen Reviews wichtig ist, sondern wir uns lieber auf die Meinung der Masse stützen.

Onlineshop-UX 39

Diese Gesamtübersicht über die Bewertungen ist so wichtig, weil sich Besucher andernfalls ihre Meinung aus den ersten Rezensionen ganz oben bilden. Fallen diese überwiegend positiv aus, wirken die Rezensionen auf viele gekauft oder gefälscht. Fallen diese überwiegend negativ aus, gehen positive Bewertungen unter und das Produkt wird als negativ wahrgenommen und missinterpretiert.

Die einzelnen Sternewertungen in der Gesamtübersicht sollten klickbar sein, um dann die Rezensionen mit der entsprechenden Wertung gefiltert anzuzeigen. Viele nutzen diese Funktion, um negative Bewertungen zu lesen und so beispielsweise über Schwachstellen oder die Langlebigkeit der Produkte zu erfahren.

Die Filterfunktion sollte dabei sich gegenseitig ausschließend agieren – das heißt, dass immer nur eine Filteroption aktiv sein kann und nicht beispielsweise gleichzeitig alle Ein- und Zwei-Sterne-Bewertungen angezeigt werden können. Denn Usability-Tests haben gezeigt, dass eine solche Funktion eher für Verwirrung sorgen würde, von den Nutzern zudem nicht erwartet wird und wo sie in dieser Form verfügbar war, nicht genutzt oder gewollt wurde.

Es macht Sinn, die Gesamtübersicht dynamisch auf Basis der Anzahl der Rezensionen ein- oder auszublenden. Denn bei fünf oder weniger Bewertungen für ein Produkt könnte die Gesamtübersicht eher negative Auswirkungen haben, da bei einer so geringen Anzahl selbst zwei mittelmäßige Bewertungen das Gesamtbild sehr trüben können.

Groß angelegte Studien haben außerdem gezeigt, dass Menschen eher bereit sind, Produkte zu kaufen, die mehr Bewertungen bei einem leicht geringeren Durchschnittswert haben als Produkte, die weniger Bewertungen haben und dafür durchschnittlich höher bewertet sind.

Beispielsweise greifen Menschen eher zu Produkten, die bei 16 Bewertungen durchschnittlich 4,5 Sterne haben als zu Produkten, die bei 3 Bewertungen durchschnittlich 5 Sterne haben. Denn nicht nur die Höhe der Bewertungen an sich ist ausschlaggebend, sondern auch die Anzahl an Bewertungen, da diese für viele ein wertvoller Kennwert für die Popularität des Produktes ist (Scott 2017).