Neben all diesen sichtbaren Elementen unseres Webshops gibt es auch unsichtbare – aber, wie schon angesprochen, dafür deutlich spürbare – Faktoren, welche die User-Experience erheblich beeinflussen. Der größte Faktor ist dabei die Seitenladezeit. Das beweisen auch die Zahlen:
BBC hat in Untersuchungen herausgefunden, dass sie je weiterer Sekunde Ladezeit 10 Prozent ihrer Nutzer verlieren (Clark 2018). Wäre die Seitenladezeit von Amazon nur eine Sekunde länger, würden sie hochgerechnet pro Jahr 1,6 Milliarden Dollar weniger Umsatz machen (Padychova 2017). Und Pinterest konnte durch eine Reduktion der Ladezeit von 40 Prozent um 15 Prozent mehr Seitenaufrufe generieren (Pinterest Engineering 2017).
Vielleicht fragt sich so mancher an dieser Stelle, wieso die Performance einer Seite für uns im User-Experience-Design überhaupt so wichtig sein soll. Jakob Nielsen sieht die zwei Hauptgründe in den Grenzen unseres Verstands und den grundlegenden Bedürfnissen von Menschen. Ersteres hat mit unserem Erinnerungsvermögen und unserer Aufmerksamkeitsspanne zu tun. Wir Menschen sind deutlich weniger effizient, wenn wir auf etwas warten müssen. Und dass wir, verursacht durch die Ladezeit, schlimmstenfalls sogar wieder vergessen, was wir eigentlich tun wollten.
Bei dem zweiten genannten Grund, den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen, geht es um die Kontrolle, die wir Menschen gerne ständig behalten und uns daher nur ungern den Launen von Maschinen unterwerfen. Lassen uns Websites beziehungsweise die Unternehmen dahinter warten, löst das darüber hinaus ein Gefühl von Arroganz und Inkompetenz in uns aus – schlechte Nutzererfahrungen entstehen (Nielsen 2010).
Basierend auf den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie hat Nielsen schon 1993 drei Reaktionszeitgrenzen definiert. Es geht darum, wie die Reaktionszeiten von Maschinen auf uns wirken (Nielsen 1993).
Lange hieß es, dass nach zehn Sekunden Seitenladezeit die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass Besucher die Website vorzeitig verlassen. Doch die Wahrheit ist mittlerweile eine gänzlich andere, denn Mobilgeräte haben unser digitales Leben erheblich beschleunigt. So kam Google 2016 zum Schluss, dass 53 Prozent aller Nutzer von Mobilgeräten eine Seite verlassen, wenn die Ladezeit drei Sekunden überschreitet (An 2018).
Tatsache ist, dass Nutzer kürzere Ladezeiten bevorzugen. Tatsache ist aber auch, dass wir technisch bedingt früher oder später auf Grenzen stoßen werden, die wir nicht überwinden können – eine gewisse Ladezeit ist nicht vermeidbar. Oft wird versucht, alle Möglichkeiten auszureizen, um die letzten Hundertstelsekunden herauszukratzen und das meist auch noch mit einem beträchtlichen Aufwand von Ressourcen. Doch diese Aufwände sind es in meinen Augen und auch in den Augen von vielen Experten nicht wert. Ein Beispiel:
Das Zugunternehmen Eurostar hat einst Ingenieure beauftragt, die Fahrtdauer mit dem Zug von London nach Paris um 40 Minuten zu verkürzen, um eine bessere Reiseerfahrung zu schaffen. Denn kürzere Reisen sind doch immer im Sinne der Menschen – so die Begründung der Verantwortlichen. Schlussendlich hat Eurostar für dieses Unterfangen 6 Milliarden Pfund ausgegeben. Der Marketingberater Rory Sutherland hat hingegen von Beginn an empfohlen, für einen Bruchteil des Betrags lieber kostenloses WLAN anzubieten. Oder scherzhaft, Models anzustellen, die den Gästen die gesamte Fahrt über kostenlos Champagner nachschenken. »Die Fahrgäste würden sich wünschen, dass der Zug langsamer fährt«, meinte er (Hum 2015).
Worauf ich hinaus will: Wir Menschen haben kein Problem damit, länger auf etwas zu warten, wenn dabei die Erfahrung eine positive ist.
Jeder kennt doch bestimmt auch die Situationen, von denen man sich wünscht, sie würden so lange wie möglich andauern – und dann vergehen sie schlussendlich doch gefühlt am schnellsten. Denn es gibt einen Unterschied zwischen der tatsächlichen Zeit und der von uns wahrgenommenen Zeit. Auch beim Laden von Websites.
Der sich drehende Ladekreis – vielleicht eher bekannt als Loading-Spinner – ist einer der gebräuchlichsten Fortschrittsindikatoren. Wenn man allerdings etwas genauer darüber nachdenkt, zeigt ein sich stupide drehender Kreis gar keinen Fortschritt an. Er zeigt uns nur, dass sich im Hintergrund gerade etwas tut. Angeblich. Was? Keine Ahnung. Wie lang noch? Auch keine Ahnung. Es ist Zeit, sich nach Alternativen umzusehen.
Und diese Alternative heißt nicht Ladebalken. Denn auch hier stehen wir vor dem gleichen Problem wie beim Ladekreis, dass man einfach nicht sagen kann, wie lange die Seite noch lädt. Forscher haben zudem herausgefunden, dass ein Ladebalken bei Wartezeiten unter fünf Sekunden unser Zeitempfinden sogar verlangsamt, da ein Ladebalken nicht den Fokus darauf lenkt, was schon passiert ist, sondern wie lange wir schon gewartet haben und noch warten müssen. Und wir wissen alle, wie langsam Zeit vergeht, wenn wir wollen, dass die Zeit vergeht (Babich 2016).
Eine Alternative dazu bieten die seit ein paar Jahren zunehmend häufiger aufkommenden Skeleton-Screens. Das Prinzip davon ist einfach: Das User-Interface wird Stück für Stück, beginnend mit dem grundlegenden Layout – eben dem Skelett – aufgebaut. Skeleton-Screens zeigen von Beginn an, was wir auf der Website erwarten können und gleichzeitig, was noch geladen werden muss. Verpassen wir unseren Skeleton-Screens zusätzliche Bewegung, beispielsweise durch die Animation des Verlaufs im Platzhalter, werden die Wartezeiten gefühlt weiter verkürzt.
Denn all das lenkt die Aufmerksamkeit weg von der Wartezeit, hin zum sichtbaren Ladeprozess. Aber vor allem lassen sie unseren Webshop schneller wirken, als er eigentlich ist. Es gilt, sich immer im Hinterkopf zu behalten, dass wir für uns Menschen gestalten. Und wir sind eben in unserer Wahrnehmung beeinflussbar.
Die Vorteile von Skeleton-Screens liegen auf der Hand. Inkrementelles Feedback an die User sorgt für eine besser User-Experience und reduziert Unsicherheiten darüber, was gerade geschieht. Aber vor allem sind die Nutzer durch geschickte Wahrnehmungstäuschung bereit, länger zu warten – weil sie die Zeit als kürzer wahrnehmen (Chung 2018).